In meinem Schrank wohnt ein Monster. Es ist kein ungebetener Gast, ich habe es selbst hineingelassen, als ich jung und naiv war und von einem sehr lustigen Abend verzaubert. Es lebt gut in diesem Schrank. Es bekommt jeden Monat eine fette Mahlzeit auf meine Kosten und ich lasse es dort leben, weil ich nicht hinsehen und meine Fehler anschauen will. Aber es bedient sich ungehindert aus meiner Speisekammer, die ich eigentlich für den Winter meines Lebens füllen wollte. Stattdessen wird das Monster immer fetter, hat inzwischen große, böse Hörner und blitzt mich in dunklen Nächten, in denen ich nicht schlafen kann, finster an. Ich weiß nicht, was ich tun soll und bin mit dem Monster ganz allein.
Über Monster spricht man nicht. Das interessiert niemanden. Jeder hat eins, das ist einfach so. Nimm unsere App, dann bekommst du von uns ein grünes Monster! Und was ist mit dem, was ich schon habe? Ach, das bleibt da. Du brauchst das Monster, du musst wissen, wie du für dein Alter vorsorgen willst. Und das Monster wird sich irgendwann um dich kümmern, das ist der Pakt, den du mit diesem Teufel geschlossen hast. Immer dieses schlechte Gefühl, aber du bist erwachsen. Erwachsene haben Monster, sie füttern sie, und wenn sie nicht mehr füttern können, werden sie vom Monster an einen besseren Ort gebracht.
Aber welches Monster hast du? Das goldene, das rote, das schwarze oder das braune? Ach, eines mit gemischten Farben? Tja, da kann dir niemand helfen, das musst du schon selbst in den Griff bekommen. Eine Monsteranalyse gibt es nicht umsonst, und wenn doch, dann nur, weil unser Monster besser ist, deins aus dem Schrank auf die Straße wirft und dafür unsers einzieht. Und es hat ein Baby, das du in Zukunft auch füttern wirst. Ohne Monster geht es nicht. Jeder hat ein Monster. Man braucht ein Monster, sonst strengt man sich nicht an und von nichts kommt nichts.
Ich zerre das Monster aus dem Schrank ans Licht. Es wehrt sich, versteckt sich hinter Bergen von Papier. Lange habe ich nach einer Stelle gesucht, an der es verwundbar ist. Es sieht düster aus, aber hier auf dem Küchentisch ist es kleiner als ich dachte. Noch fett von meinen guten Vorräten, aber ich bin noch jung, ich kann noch etwas anderes tun. Mir ein neues Haustier suchen, das nicht so gefräßig ist. Das Monster wird bleiben, das sehe ich jetzt.
Ich kämpfe mich durch die Beschwörung des Monsters, von diesem Abend voller Spaß. Es waren nette Leute, die das Monster mitgebracht haben. Jung wie ich, aber mit so viel Lebenserfahrung. “Jeder hat ein Monster, du braucht das Monster.” sagen sie. “Das Monster ist das Beste, was du bekommen kannst. Vertrau mir.” Lächelnd setzten sie mir den gefräßigen Gast ins Haus, erwähnten mit keinem Wort, dass das Monster noch etwas anderes tut, und zwar sehr gut – es füttert seine Beschwörer genauso fett wie sich selbst. Das ist der Zweck des Monsters. Die Beschwörer fett zu machen, damit sie noch mehr Monster beschwören. Ein sich selbst verstärkender Kreislauf, der nicht aufhört, weil die Gier der Beschwörer nie gestillt wird.
Das Monster ist eigentlich ganz niedlich. Wir leben schon viele Jahre zusammen, ich habe es mir nie genau angesehen. Aber heute sitzt es auf dem Küchentisch, wenn ich in seiner Beschwörungsformel Blätter faucht es leise, aber es greift nicht an. Er ist nur ein Papiertiger. Ich entdecke die hässliche Wahrheit über seine Natur. Es ist nicht seine Schuld, dass es so viel von meinen Vorräten frisst. Das haben sich die Beschwörer ausgedacht. Und ich war zu jung und naiv und verzaubert von ihnen, um zu sehen, was ich mir da ins Haus hole. Oh, eine digitale Signatur. Heute muss man dem Teufel seine Seele nicht mehr in Blut anbieten, heute geht das mit dem Touchpad. Wie modern. Wie praktisch. So geht die Monsterbeschwörung viel schneller.
Ich nutze meine Erfahrung mit Beschwörungen aller Art, um das Monster klein zu machen. Es will nicht gehorchen, also greife ich zum letzten Mittel. Es gibt keinen Grund, es aufzuhalten. Meine Lösung ist die beste in einer schlechten Welt.
“Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit kündige ich zum nächstmöglichen Zeitpunkt den Versicherungsvertrag mit Ihnen zu meiner BU-Rentenversicherung Nr. 123.
Bitte bestätigen Sie mir den Rücktritt unverzüglich schriftlich und teilen Sie mir den gesamten Rückerstattungsbetrag in einer tabellarischen Kostenaufstellung mit.
Vielen Dank,
Mit freundlichen Grüßen”
Die Beschwörung liegt schwer auf dem Tisch, das Monster wimmert leise. Ein letztes Mal ergreift mich das Entsetzen über das, was ich getan habe, und über das, was noch kommen wird. Dann fasse ich mir ein Herz und entfessele die Beschwörung, frankiere den Brief und gebe ihn dem Boten in die Hand. Jetzt wird es geschlachtet. Ich suche mir ein neues Monster, denn ohne Monster geht es nicht. Aber diesmal lasse ich mich nicht von Zauberern verzaubern, sondern entscheide selbst, mit offenen Augen und gezückter Tabellenkalkulation. Und keine bunten Monster mehr, die sind so kompliziert, dass sie besonders viel fressen. Dann lieber ehrliche Monster, die nicht so tun, als wollten sie mich retten. Und vielleicht hole ich mir sogar Hilfe von einem Lohnpaladin. Den ich anheure, damit er mich durch die Dunkelheit der Monsterlande führt und mit mir ein gutes, sparsames Monster aussucht, das sich wirklich um mich kümmert, wenn ich alt bin. Aber dazu muss ich erst wieder Vertrauen fassen, und das fängt bei mir selbst an.
Tschüss Monster, danke, dass du mir so viel beigebracht hast. Aber du musst jetzt gehen, ich bin müde und werde jetzt schlafen, zum ersten Mal seit Jahren ohne Monster in meinem Schrank.
Und was kommt als nächstes? Mal sehen, aber ich werde dir bestimmt von meinem neuen Monster erzählen, vielleicht findest du ja auch eins, das dir gefällt. Auf jeden Fall wird es nicht so gefräßig sein wie das vorige und nur für mich fressen.
Betty Out
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